über das Abgeben

Ich habe Lynn gerade abgegeben. Wir haben ein sehr schönes Wochenende zusammen verbracht. Nur wir zwei. Fritzi war nicht dabei. Durch die Sommerferien sind wir etwas von unserem Plan abgewichen. Abgesehen von den Ferien funktioniert dieser Plan sehr gut. Ich freue mich über die Zeit mit beiden Kindern. Darüber, dass die beiden durch die gemeinsam verbrachte Zeit schon solch ein enges Verhältnis haben. Ich freue mich, dass beide Kinder auch mal alleine bei mir sind und sie meine Aufmerksamkeit nicht teilen müssen. Und ich freue mich über meine Zeit ganz alleine ohne Kinder, die Möglichkeit abends noch aus dem Haus gehen zu können, am Morgen auszuschlafen und darüber, dass im Laufe dieser Tage die Vorfreude auf das Wiedersehen mit den Kindern steigt.

„Ich könnte das nicht!“ höre ich immer mal wieder von anderen Müttern. „das“ bezieht sich auf die Rolle der Mütter meiner Kinder. Gemeint ist, das Kind/die Kinder abzugeben, sie tageweise nicht zu sehen, sie in meiner Obhut zu lassen. Mir ist der Kommentar meist viel zu undifferenziert. Ja, Mütter die lange Jahre schon Beziehungen zu ihrem Kind aufgebaut haben, mit diesem die meiste Zeit alleine waren und von denen manche keinen Vater für das Kind haben, dem sie die Verantwortung für dieses Kind vorbehaltlos zutrauen, könnten sich das nicht mehr anders vorstellen. Bei uns war die Situation bei beiden Kindern von Geburt an anders.

Ich sehe Lynn drei Tage die Woche, ungefähr 72 von 168 Stunden. Ich verbringe mehr Zeit mit ihr als viele Väter, die mir ihren Kindern 24/7 zusammenwohnen. Und ja, auch mir fällt es manchmal ziemlich schwer, mich zu verabschieden. Heute besonders.

Nun sitze ich alleine und etwas traurig auf meinem Sofa und verarbeite das hier in diesem kurzen Text. Gerade eben noch lagen Lynn und ich auf dem Wohnzimmerfußboden. Verzweifelt versuchte sie nach vorne zu robben. Sie war frustriert, beschwerte sich bei der Schildkröte, dass diese einfach nicht zu erreichen war. Zum Trost tanzte ich mit ihr zu meinem Lieblingshit des Wochenendes durchs Zimmer.

Manchmal gelang es ihr eher zufällig, sich ein paar Zentimeter nach vorne zu bewegen. Die Kraft ist da, die Technik hat sie noch nicht ganz kapiert. Es ist eher eine Sache von Tagen denn von Wochen bis sie es schafft, vorwärts zu kommen und damit die Welt viel selbstständiger zu erkunden. Lynn ist nun bis Mittwoch bei ihren Müttern. Vielleicht verpasse ich den Moment, in dem sie nicht frustriert wenige Zentimeter vor der Schildkröte liegen bleibt, irgendwann entnervt aufgibt und von mir getröstet werden möchte, sondern in dem sie die Schildkröte erreicht und stolz die Menschen um sich herum anlächelt.

3 Antworten

  1. yuriko sagt:

    ich finde mich in deinem artikel voll wieder. ich bin selbst auch teil einer co-elternschaft und bin dabei die biologische mutter. das thema abgeben, mit allen vor- und nachteilen, ist bei mir auch immer wieder groß. und ich weiß nicht, wie oft ich schon von anderen müttern gehört habe, dass sie das ja nicht könnten, ihr kind teilen. ich fühle mich mit dieser mitteilung meistens etwas hilflos, vor allem, wenn sie gepaart wird mit einem bericht über überfoderung. oft sehe ich, dass die andere mutter gar keine andere wahl hat, als die hauptbezugsperson zu sein. oft denke ich aber auch, dass es eine entscheidung ist, und dass das abgeben und teilen von verantwortung für kinder genauso gelernt werden kann, wie das übernehmen von verantwortung und die versorgung von kindern.

  2. lu sagt:

    liebe_r j,

    danke dir,ich lese deine texte gerne. mich würde bezüglich des abgebens/wechselns auch die perspektive der kinder interessieren,wie das so aus ihrer sicht ist an mehreren orten zu leben. ich selbst praktiziere ein 50/50-wechselmodell mit zwei orten, und bin manchmal etwas am zweifeln.gestresst davon und frage mich dann wie das eigentlich für mein kind ist bzw. in zukunft wird an mehreren orten zu leben (zehn monate alt) auch wenn ich bisher in unserem fall keine richtige alternative dazu sehe. vielleicht kannst du da ja mal von deiner erfahrung berichten.

    • jochen sagt:

      Hallo lu,
      Lynn ist ja auch erst 10 Monate alt und kann sich dazu natürlich noch nicht persönlich äußern. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob sich das grundsätzlich und eindeutig beantworten lässt. Kinder sind unterschiedlich und auch die Beziehungen zu den Bezugspersonen sind sehr unterschiedlich. Ich bin für uns recht zuversichtlich, dass wir es alle schaffen eine enge Bindung zu Lynn aufzubauen und sie sich bei uns allen immer wohl fühlen wird, aber es wird sicherlich auch Momente des Vermissens und traurige Abschiede geben. Die gibt es andererseits aber in jeder anderen Familie auch. Ich glaube, dass es sich auch auf Lynn positiv auswirkt, dass wir hinter diesem Modell stehen und uns damit wohlfühlen. Wenn die Eltern deswegen gestresst sind, sieht es vielleicht schon wieder anders aus.
      Nach den Diskussionen um meinen aktuellen Artikel um das Wechselmodell werde ich vielleicht demnächst aber auch nochmal ausführlicher darüber schreiben.
      Viele Grüße
      Jochen

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