Sex, Yolo und die Sache mit den Krankheiten

Liebesleben

Ich fahre an einem Mittwochnachmittag quer durch Berlin. Wenig familienfreundlich beginnt die Sprechstunde um 18 Uhr. Meine Kinder sind bei ihren Müttern. Kurz nach 18 Uhr stehe ich in der Schlange. Ein Schild weist darauf hin, dass das Testangebot entsprechend der Zielgruppe der Beratungsstelle nur von schwulen Männern, bisexuellen Männern und Männern, die Sex mit Männern haben, in Anspruch genommen werden kann. Ich bekomme einen Fragebogen, ein Informationsblatt über die angebotenen Tests und eine Nummer, unter der mir die Ergebnisse am Ende anonym zugeordnet werden können. Dann darf ich mich im zur Beratungsstelle gehörenden Café hinsetzen und warten.

Ein mehr oder weniger diffuses Wissen über Safer Sex scheint gesellschaftlich vorhanden, HIV ist einigermaßen bekannt. Wenn es um Details oder andere sexuell übertragbare Krankheiten, ihre Symptome und Übertragungswege geht, mangelt es jedoch häufig an Expertise. Über Sex wird wenig offen gesprochen, über Krankheiten, die durch Sex übertragen werden können, noch viel weniger. Selbst in den meisten Sexblogs, die ich hin und wieder lese, kommt das Thema nicht vor. Ich habe gelegentlich Sex, ich schreibe darüber und heute geht es hier deshalb um den bereits erwähnten Mittwochnachmittag und Tests auf sexuell übertragbare Krankheiten.

Ich werde von einem Berater im Café abgeholt und ins Beratungszimmer gebracht. Er schaut auf meinen Fragebogen und ist zufrieden mit meinem Risikomanagement, das aus meinen Antworten deutlich wird. Er fragt, welche Tests ich machen möchte. „Alles“, antworte ich. Für den Test auf Chlamydien und Gonokokken wird der Arzt einen Abstrich in meinem Rachen und in meinem Schwanz nehmen, erklärt er mir die Prozedur. Er sagt „Schwanz“ und ich bin kurz irritiert, weil der Begriff in meinem Kopf nicht zum Kontext passt und amüsiere mich kurz darauf über mich selbst. Es zeigt, wie wenig selbstverständlich es ist, einfach locker über diese Themen zu sprechen, wenn allein die Auswahl der Begriffe für Irritationen sorgen kann. Den analen Abstrich muss ich nach der Untersuchung durch den Arzt alleine auf dem Klo machen. Ich zahle für alle Tests zusammen 25 € und darf wieder warten.

Auf Twitter frage ich, wie oft andere sich auf sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen. Ich bekomme sehr wenige Antworten: „Alle 6 bis 12 Monate“ oder „Gar nicht. Bin glücklich verheiratet.“ Meine letzten Tests sind mehr als zwei Jahre her. In den letzten Jahren war ich jeweils bei Gesundheitsämtern in unterschiedlichen Berliner Bezirken. In einem Bezirk werden jedoch aktuell aufgrund eines Personalengpasses keine Termine vergeben und in einem anderen Bezirk wird nur ein HIV-Test angeboten („Wir sind doch hier kein Selbstbedienungsladen“). Deshalb bin ich an besagtem Mittwoch in besagter Beratungsstelle .

Ich werde zum Arzt gebracht. Der Abstrich in meinem Rachen ist aufgrund des Würgereizes unangenehmer als in meinem Penis. Dann noch Blutabnehmen. Der Arzt lobt meine deutlich sichtbaren Venen. Bevor ich mich wieder zum Warten ins Café setze, gehe ich noch auf die Toilette und nehme den analen Abstrich. Die Ergebnisse der Schnelltests auf HIV und Syphilis bekomme ich nach etwas mehr als einer halben Stunde. Wieder kurz ins Beratungszimmer. Der Berater teilt mir die Ergebnisse mit, bevor ich mich überhaupt gesetzt habe. Dann fahre ich nach insgesamt über zwei Stunden wieder nach Hause. Die Proben der Abstrichuntersuchungen auf Chlamydien und Gonokokken werden ins Labor geschickt. Nach einer Woche kann ich anrufen und das Ergebnis erfragen.

Die Infektionszahlen für einige sexuell übertragbare Krankheiten sind in den letzten Jahren angestiegen. Eine Infektion beispielsweise mit Chlamydien kann lange unerkannt bleiben und auch ohne Symptome übertragen werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informiert in einer aktuellen Kampagne daher nicht mehr nur über HIV, sondern auch über andere Krankheiten – siehe Foto oben.

Ich weiß nicht so richtig, wie Menschen, die in einer glücklichen Ehe oder einer ansonsten irgendwie festen und langfristigen Beziehung leben, auf die Idee kommen, sie seien dadurch vor sexuell übertragbaren Krankheiten geschützt. Menschen, die in festen Beziehungen ungeschützten Sex haben, haben häufiger und mit mehr Personen ungeschützten Sex als ich. Und hinterher sind nach so genannten Seitensprüngen immer alle völlig überrascht: „Das hätte ich meiner Partnerin/meinem Partner nie zugetraut“. Nicht alle Krankheiten werden außerdem ausschließlich durch Sex übertragen, können also auch auf anderem Weg, beispielsweise über öffentliche Toiletten, in eine Beziehung gelangen.

Das Leben ist voller Gefahren. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Besonders beim Thema Sex geht es nicht immer nur um Vernunft und lückenlose Risikoabwägung: Yolo. Umso wichtiger ist es jedoch, sich grundsätzlich Gedanken darüber zu machen und durch regelmäßige eigene Tests zumindest so gut wie möglich die Gefahren für andere beteiligte Personen zu minimieren. Mein Ausflug in die Beratungsstelle war genau heute vor einer Woche. Nachher beginnt die Telefonsprechzeit und ich werde mit meiner Testnummer nach meinem Ergebnis fragen…

Überreste vom letzten Wochenende. Text dazu im Blog #kindfrei #sex #gegen

Ein von Jochen König (@koenigjochen) gepostetes Foto am

2 Antworten

  1. J sagt:

    Ich weigere mich in meiner aktuellen Lebenssituation (über zehnjährige monogame Beziehung) einen Test zu machen, weil theoretisch der Grund besteht, dass mein Partner fremd geht und dann auch noch mir eine Krankheit verpasst. Wenn jemand untreu ist, ist die Pflicht zum Schutz auf dessen Seite, finde ich. Wenn ich auf diese Weise infiziert würde, müsste ich aus Rache dran sterben und dann als Geist den Betrüger verfolgen.

  2. sojamuesli sagt:

    Ich hoffe sehr, von meiner Ärztin ernst genommen zu werden, wenn ich sie mal nach so einem Test fragen sollte.

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