Warum so wenige Mädchen Fußball spielen oder das Wissen 8-jähriger Mädchen über Sexismus und Männlichkeit

Relativ kurzfristig hatte ich von einem Fußballcamp in den Herbstferien erfahren. Montag bis Freitag in der ersten Ferienwoche. Jeweils 10 bis 15 Uhr. In der Turnhalle einer Grundschule in Kreuzberg. Für Mädchen im Alter von 8 bis 12 Jahren. Ich fragte meine Tochter, ob sie daran teilnehmen möchte. Sie war unsicher. Keine ihrer Freundinnen interessiert sich für Fußball. Sie würde dort kein anderes Kind kennen. Wir wägten gemeinsam die Vor- und Nachteile ab, sie entschied sich dafür und das Camp wurde für sie zu einem vollen Erfolg.

Ich betätigte mich in der vergangenen Woche also als Soccer Mom und war einen großen Teil des Tages damit beschäftigt, meine beiden Kinder in unterschiedliche Richtungen der Stadt zu bringen und am Nachmittag wieder abzuholen. Schon vor dem Camp sagte das große Kinder, dass sie sich besonders freue, dass nur Mädchen dort sein werden und sie sich deshalb von keinem Jungen werde anhören müssen, was er vermeintlich alles besser könne.

Im Laufe der Woche kam sie jeden Nachmittag mit neuem Selbstbewusstsein nach Hause. Sie war rundum begeistert und erzählte mit strahlenden Augen von ihren vielen tollen Erlebnissen und von ihren vielen neuen Freundinnen. Bei unseren täglichen Einschlafgesprächen kam sie vor lauter Euphorie kaum zur Ruhe. Und immer wieder drehten sich unsere Gespräche voller Begeisterung darum, dass nur Mädchen und nur Trainerinnen mitspielten und wie wunderbar es sei, dass keine Jungs dabei waren, die ständig angeben. Der Raum nur unter Mädchen und Frauen tat ihr sichtlich gut.

Ich erinnere mich, wie ich vor einiger Zeit auf dem Schulhof ein Fußballspiel beobachten konnte, als ich meine Tochter abholen wollte. Jungs gegen Mädchen, schlug irgendwer vor. Es waren etwa 6 oder 7 Mädchen und 4 oder 5 Jungs. Die Jungs waren sich sicher, trotz Unterzahl gewinnen zu können. Das Spiel war eine Zeit lang ausgeglichen. Nach wenigen Minuten waren die Jungs frustriert, dass sie noch kein Tor geschossen hatten. Als dann ein Tor für die Mädchen fiel, fingen – ungelogen – zwei Jungs an zu weinen, beschwerten sich bei der Erzieherin und verlangten unter Tränen eine neue Aufteilung der Teams. Jungs gegen Mädchen: ok, aber nur, solange die Jungs gewinnen. Ansonsten ist es unfair.

Zurück zum Fußballcamp. Im Rahmen des Camps organisierten die 7 Trainerinnen auch Workshops, in denen unterschiedliche Themen mit den insgesamt etwa 40 Mädchen diskutiert wurden. Am letzten Tag fand ein Turnier statt. Die Eltern waren als Zuschauer_innen eingeladen und die Workshopergebnisse wurden für alle sichtbar ausgehängt. Auf Plakaten hatten die Mädchen unter anderem zusammengetragen, warum aus ihrer Sicht mehr Jungs/Männer Fußball spielen und weniger Mädchen/Frauen.

Weil Frauen mehr Hausarbeit machen, stand auf einem Plakat. Weil Jungs/Männer denken, dass sie cool(er) sind. Weil Jungs/Männer denken, dass sie besser spielen könnten. Weil Männer sagen, dass es nicht zu Frauen passt. Weil Jungs/Männer sagen, dass Mädchen/Frauen kein Fußball spielen können. Meine Tochter erzählte mir mit Blick auf die Plakate, wie sie sich mit ihren neuen Freundinnen im Workshop darüber ausgetauscht habe, dass die Jungs in ihren Schulen ständig angeben, nicht verlieren können und nicht fair spielen.

Mir ist völlig klar, dass sich Räume mit Männern in vielerlei Hinsicht komplett von Räumen ohne Männer unterscheiden. Männlichkeit ist ein solch schräges und gleichzeitig dominantes Konzept in unserer Gesellschaft, dass es kaum zu übersehen ist, sobald Männer in der Nähe sind. Und gleichzeitig wird diese Männlichkeit so sehr als Normalität angenommen und verstanden, dass ihre Auswirkungen oft erst in Situationen ihrer Abwesenheit bewusst auffallen.

Es geht nicht darum, zu sagen, dass es in dieser Gruppe von 40 völlig unterschiedlichen Mädchen mit völlig unterschiedlichen Hintergründen keine Konflikte gegeben hätte. Es geht auch nicht darum, zu sagen, alle Jungs im Alter zwischen 8 und 12 Jahren seien unfaire Angeber. Es geht darum, dass auch Mädchen im Grundschulalter schon alltägliche Erfahrungen mit Sexismus und problematischen Männlichkeiten machen. Mich hat es in dieser Woche wieder schockiert und sehr bewegt, dass auch schon 8-jährige Mädchen auf diese Art und Weise davon betroffen sind und die Probleme gleichzeitig aber auch schon so klar und bewusst benennen und reflektieren können.

Ich musste auch an einen Post von Journelle von vor etwa einem halben Jahr denken. Sie schrieb über die Erfahrungen ihrer Tochter mit sexistischen Schönheitsidealen in der Grundschule. Der Post schlug (zurecht) hohe Wellen. Überraschend ist nicht, dass es diese Probleme gibt. Erschreckend ist leider immer wieder aufs Neue, wie früh Mädchen davon betroffen sind, darunter leiden und sich anpassen.

Was ist das für eine Welt, in der schon 8-jährige Mädchen so dringend Räume brauchen, in denen sie ohne Jungs und Männer sein dürfen, weil sich schon 8-jährige Jungs darüber definieren (müssen), was sie alles vermeintlich besser können als andere, und ihnen niemand beibringt, mit Niederlagen und mit Scheitern umzugehen? Warum gibt es in den vielen Fußballcamps für Jungs keine Workshops und Reflexionen darüber, warum so wenige Mädchen Fußball spielen und wie sie mit ihren eigenen männlichen Verhaltensweisen schon in jungen Jahren ihren Beitrag dazu leisten, dass das so bleibt? Was ist das für eine Welt, in der schon 8-jährige Mädchen ihre Probleme mit Männlichkeit(en) artikulieren und reflektieren können und gleichzeitig viele erwachsene Typen auch nach zig Hashtags noch kein Problem sehen (wollen) und noch immer keine Notwendigkeit erkennen, mal kritisch über ihre eigene Männlichkeit nachzudenken?

27 Antworten

  1. Ja. Erinnert mich schmerzhaft daran, wie gerne ich mit den Jungs im Hof Fußball gespielt habe, und wie gut ich damals darin war. Bis dann alle Jungs im Fußballverein waren, wo sie nur noch mit Jungs spielten, und 2-3 Mal die Woche ins Training gingen. Von an wollten sie nicht mehr mit Mädchen im Hof spielen, das war unter ihrer Würde. Eine Mädchenmannschaft gab es bei uns im Ort nicht. Ich glaube, ich war 8 oder 9.

  2. Man kann Jungen und Maedchen lieb haben sagt:

    Och ja, ist ja wahrscheinlich nicht falsch, aber in seiner Einseitigkeit scheint mir die Beobachtung extrem diskriminierend. Denn ebenso werden Jungen nicht eingelassen in Hunderte Bereiche, die laut unserer Gesellschaft den Mädchen vorbehalten sein sollen. Rücke, Kleider, Hobbys, Comicfiguten, Filme, Songs, Rosa, Puppen, Glitzer, helfende Berufe … es gibt DUTZENDE Dinge, die wir unseren Jungen als nicht geschlechtskonform aberziehen und den Mädchen super schnell beibringen: Da darfst du die aber rauskicken. Das macht das Verhalten der männlichen Kinder nicht besser, beide Reaktionen sind aber erlernt und logisch. Wir enthalten beiden Gruppen viel vor; deswegen können sie nur durch Abgrenzung Selbstbewusstsein tanken. Wäre nett gewesen, die Jungs hier nicht als die Schuldigen darzustellen – so wird sich nie was ändern. Wenn irgendwann Erziehung die Lösung ist statt eines den Zustand zementierenden, gendergetrennten Camps, dann wäre das doch toll.

    • Jochen sagt:

      Ich habe nirgends geschrieben, dass meine gesellschaftliche Utopie darin besteht, dass irgendwann alle Geschlechter nur noch unter sich bleiben. Ich habe geschrieben, welch einen großen Unterschied es macht, ob Jungs/Männer dabei sind oder nicht. Mir fällt kein Äquivalent andersrum ein. Wenn Jungs unter sich wären, könnten sie in Ruhe Röcke tragen, aber wenn Mädchen dabei sind, werden sie dafür fertig gemacht? Das ist doch Quatsch.

      Ich glaube auch, es ist wesentlich mehr als „nur“ Erziehung. Wenn Mädchen schreiben, dass sie nicht so viel Fußball spielen, weil Frauen mehr Hausarbeit machen. Das sind ja einfach gesellschaftliche Realitäten bzw. Realitäten in den Familien und das wenigste davon ist tatsächlich bewusste Erziehung.

      • Steffi sagt:

        Ich bin da ehrlich gesagt auch oben genannter Meinung. Du hast nicht unrecht, wenn du sagst, dass die stereotypen Rollenbilder gesellschaftsbedingt sind. Auch wenn es naiv sein könnte, kann ich nicht daran glauben, dass es sich dabei um unveränderliche Realitäten handelt, sondern eben durch Erziehung änderbar ist.
        Ich selbst habe drei Jungs und sage ihnen immer, dass es nichts gibt was sie nicht machen können. Trotzdem schämen sie sich vor anderen Jungs zuzugeben, dass sie keinen Fussball mögen. Sie spielen dann halt doch mit. Der Grosse traut sich nicht in der Schule zu erzählen, dass er leidenschaftlich gern reitet aus Angst ausgelacht zu werden. Das kann es doch nicht sein. Ich versuche meinen Kindern das nötige Selbstvertrauen mit auf den Weg zu geben und hoffe, dass sie irgendwann zu ihren Hobbys stehen können. Ich kann aber auch gut nachvollziehen, dass sie sich die Blösse noch nicht geben können mit 8 Jahren. Aber wenn keiner anfängt kann sich auch nichts ändern. Also habe ich mir vorgenommen weder bei Jungen, noch bei Mädchen in Kategorien zu denken.

        • Nina sagt:

          Es stimmt sicher, dass Jungs und Männer abgewertet werden (zumeist von anderen Jungs und Männern), wenn sie Dinge mögen, die mit Weiblichkeit assoziiert werden (Rosa, Röcke, Reiten etc). Ich finde aber, der entscheidende Unterschied ist, dass ihnen i. d. R. dennoch genug Privilegien bleiben – einfach qua ihrer dennoch zugeschriebenen Männlichkeit-, um das wieder auszugleichen bzw. gesellschaftliche Vorteile daraus ziehen zu können. Warum also sich nicht, wie Jochen hier, erstmal darauf konzentrieren, was es für Möglichkeiten gibt, Mädchen zu stärken, zumal wenn es die eigenen Töchter sind. Dass weniger Sexismus und weniger Abwertung von Weiblichkeit auch Jungs und Männern entgegenkommt und die Dinge für alle Geschlechter besser macht, sagen Feminist*innen ja ohnehin die ganze Zeit. Weil dann eben auch Jungs freier werden, die Wiebken Präferenzen zu leben, ohne dass diese geschlechsbezogen bewertet werden. Wenn Jungs-Eltern ihre Kinder darin bestärken, sich jenseits von Geschlechterstereotypen Hobbits zu suchen oder zu kleiden, super! Macht weiter so, wir brauchen solche Jungs und zukünftigen Männer. Aber dieser reflexartige „whataboutism“, sobald jemand über die eigenen Erfahrungen schreibt und spricht, sei es die eigene Tochter und Sexismus im Fußball oder Debatten wie #metoo, nervt und ist unproduktiv. Kann man nicht erstmal zuhören und anerkennen, dass es da gerade dieses spezifische Problem gibt und jemand von seinen eigenen Erfahrungen damit spricht und sie in einen größeren Kontext stellt, ohne direkt „aber die armen Jungen haben es auch so schwer“ zu rufen?

    • Julia sagt:

      Das ist ein guter Punkt, und es kommt sicher vor dass Mädchen auch Jungs manchmal nicht bei manchen Dingen nicht dabei haben wolllen und ausschließen. Aber dass Jungs oft nicht mit Puppen spielen (dürfen) hat glaube ich in vielen Fällen genau den gleichen Grund, wie dass Mädchen nicht Fußball spielen: Ihre Männlichkeit.
      Ich glaube Jungs bekommen von vielen Seiten vermittelt, dass bestimmte Verhaltensweisen wie mit Puppen spielen, nicht männlich genug wären, und das sowas nur Mädchen tun. Aber sie bekommen es vor allem von anderen Männern und Jungs vermittelt. Von der Gesellschaft in der Männer männlich sein müssen weil sie sonst als schwach und mädchenhaft bezeichnet werden (was auch immer an mädchenhaft beleidigend sein soll). Sicher kommt es auch vor, dass Mädchen Jungs z.B. auslachen wenn sie mit Puppen spielen, aber ich denke dass sie noch mehr Angst davor haben, dass die anderen Jungs sie dann auslachen würden. Darum würden Mädchen und Jungs davon profitieren, wenn beide mehr über Geschlechterrollen lernen würden, und dass Jungs genauso mit Puppen spielen können wie Mädchen Fußball, ohne dass es sie „unmännlich“ macht.

    • Chiara sagt:

      Ich finde so Argumentationen nach dem Muster: „ABC sollen sich mal nicht beklagen, XYZ geht es genauso schlecht /noch viel schlechter“, immer höchst schwierig (ganz unabhängig vom konkreten Inhalt), weil sie nur dazu führen, die bestehenden Verhältnisse weiter festzuschreiben. Dabei hat man doch gerade eben festgestellt, dass sowohl ABC wie XYZ unter besagten Verhältnissen leiden. Wie wäre es also lieber mit Vorschlägen zur Veränderung? (Wie war das noch mal mit: „Frauen beklagen sich nur, Männer handeln.“? Sehe ich gerade beim Thema „Geschlechtersozialisation“ sehr wenig…)

      Wenn wir uns einig darüber sind, dass wir Menschen aller Geschlechter in Zukunft ermöglichen wollen, so zu leben, wie sie wollen (und das wäre, was ich persönlich unter: „Mädchen UND Jungen lieben“ verstehen würde), und diejenigen Strukturen verändern wollen, die sie daran hindern, dann sollten wir doch ALLES fördern, was in die Richtung führt. Wenn Mädchen dadurch, dass sie nur unter Mädchen sind, die Erfahrung machen, dass es eine Form gibt, miteinander umzugehen, mit der sie sich wohler fühlen, weil sie mehr sie selbst sein können, dann ist das doch ein Schritt in die richtige Richtung. Haben sie diese Erfahrung erst mal gemacht, werden sie versuchen, sie wieder zu machen, natürlich auch mit Jungs /Männern. Ob das dann klappt, ist eine andere Frage und hängt offensichtlich nicht nur von den Mädchen ab. Aber immerhin ist es doch mal ein VeränderungsANSATZ.

      Wie sehr viele kleine Jungen (immer noch oder wieder) in ihrer Menschlichkeit eingeschränkt werden, finde ich auch ganz entsetzlich (und eigentlich einen Fall für die Menschenrechtskommission, wenn ich ehrlich bin). In meinem Umfeld sind es aber noch mehr die Väter als die Mütter, die ihren Söhnen (in der Regel so ab 4 Jahren) brutal deutlich machen, dass „Mädchensachen“ nichts für sie sind. (Die Mütter auch, aber die lassen noch eher mit sich reden, bzw. geben nach, wenn sie sehen, dass der Sohn leidet. Die Väter sind gnadenloser.) Mir bricht es immer wieder das Herz, mit anzusehen, wie Kinder, die doch noch so klein sind, gezwungen werden, einen Teil ihrer Menschlichkeit abzuspalten. Ich würde jede Maßnahme unterstützen, die das verhindert, und wäre da für jeden Vorschlag offen.
      Ich sehe jedoch nicht, was es hier bringen sollte, Mädchen ihre eigenen Räume zu nehmen. Im Gegenteil. Es ist doch klar, dass Mädchen, die die Erfahrung gemacht haben, dass es Räume gibt, wo sie sich nicht dem Mädchen-Junge-Schema fügen müssen, dann „draußen“ widerständiger dagegen sein werden. Wenn wir uns aber sowieso einig sind, dass die herrschenden Verhältnisse sowohl für Mädchen wie für Jungen einschränkend sind, dann müssten wir doch froh sein um jede einzelne Person, die sie in Frage stellt und dagegen Widerstand leistet. Das nützt dann doch allen und ist keine Frage von: „Habe ich die Mädchen oder die Jungs lieber?“

      Wenn man Jungen dazu sozialisiert, um jeden Preis gewinnen zu wollen / zu müssen, dann werden sie zwangsläufig leiden, sobald sie damit konfrontiert werden, dass das nicht geht – egal ob das dann im Rahmen des „normalen Lebens“ oder im Rahmen einer Erziehung zu wirklicher Fairness (und nicht zu Pseudo-Fairness á la: „Alles gut, solange ich gewinne.“) stattfindet. An diesem unvermeidlichen Leiden sind dann aber – wenn wir die Schuldfrage schon stellen wollen – weder das „normale Leben“ oder noch die Erziehung zu Fairness schuld, sondern eben die Ursprungssozialisation, die Männlichkeit mit Täterverhalten gleichsetzt.

  3. Sabine sagt:

    Oh, beim nächsten Fußballcamp sag uns bitte Bescheid, ich glaube, wir haben hier eine Interessentin ;-). Wobei sie sich bis jetzt immer der Idee einer reinen Mädchenmannschaft verweigert, mit Jungs zu spielen mache mehr Spaß.

    Einiges gerade aus der Schule klIngt da allerdings gar nicht spaßig. Sie erzählte neulich, dass ein Junge aus ihrer Klasse ihr vorwirft, immer mit den guten Spielern in einer Mannschaft sein und immer gewinnen zu wollen, was seiner Meinung nach wohl nur ihm, aber nicht ihr zu steht. So hat sie es mir zumindest weitergegeben. Deshalb würde ich ihr tatsächlich wünschen, sich einmal wirklich auszuprobieren, ohne sich gleichzeitig den Jungs gegenüber beweisen zu müssen.

  4. Ron sagt:

    Bin auch ein Soccer-Dad einer bald 9-jährigen Fussballerin. Bei uns ist es so, dass sie das einzige Mädchen in ihrem Jahrgang ist und ansonsten in der F-Jugend mit 30 Jungs spielt. Wie es der Zufall will ist sie in ihrem Jahrgang sogar die Älteste und kann so auch körperlich mit einem großteil der Mannschaftskameraden mithalten (und setzt dies durchaus auch ein). Ja, die Schußtechnik hat noch Luft nach oben, dafür bringt sie aber eine gute Übersicht und Spielverständnis mit. Dinge, die die Jungs aber (noch) nicht interessieren. Die Folge: Sie kann noch so frei stehen und rufen, der Ball wird immer zu einem anderen Jungen gespielt, weil der dann ja immerhin richtig draufhauen kann (wohin auch immer der Ball dann geht). Das ist etwas frustrierend für sie (und wahrscheinlich noch mehr für mich), bei ihr dann aber Antrieb trotzdem in der Mannschaft und im Spiel ihre Rolle einzunehmen und gut auszufüllen. Sie hätte auch die Möglichkeit in eine reine Mädchenmannschaft im Nachbarort zu gehen, will dies aber momentan explizit nicht, weil u.a. dort das Leistungsniveau zu schlecht ist und sie so keinen Spaß am Fußball hätte.

    Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass es die im Beitrag geschilderten Umstände gibt und dem grundsätzlich ein gesellschaftlicher Schiefstand zugrunde liegt. Hier besteht absoluter Handlungsbedarf. Ich wollte aber auch schildern, dass Kinder für sich auch Strategien entwickeln können, wie sie gut damit umgehen können.

    • Jochen sagt:

      Danke für deine Geschichte. Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch. Im Gegenteil: Eigentlich ist es doch genau das gleiche, was ich beschreibe. Die Mädchen wissen um den Sexismus der Jungs, entwickeln Strategien und passen sich an. Meine Tochter hat in der vergangenen Woche eben die zusätzliche Erfahrung gemacht, wie befreiend es sein kann, genau das mal ausnahmsweise nicht zu müssen.

      • Ron sagt:

        Ich wollte Dir auch gar nicht widersprechen 😉

        Ich finde halt, dass die „Anpassung“ zumindest in unserem Fall nicht gegen das Naturell geht und eine solche befreiende Erfahrung vielleicht nicht nötig ist. Das mag aber durchaus noch kommen und dann ist es natürlich toll, dies so wie von dir geschildert erleben zu können.

  5. Lara Miyuki sagt:

    Auf lokalen kickboxturnieren gibt es unter den kindern ausgewogen viele mädchen und jungs. Das ist interessant. Erst in den erwachsenenklassen wird die frauendichte deutlich geringer. Auf lokalen boxturnieren hingegen finden sich meist keine oder nur wenige junge teilnehmerinnen, 11 jährige jungs stattdessen schon. Das bedeutet in den kickboxschulen läuft irgendwas anders….. vielleicht, weil viele zum kickboxen aus karate und taekwondo wechseln, was mädchen eher erlaubt wird, weil dort der kopf meist nicht als trefferfläche involviert ist und asiatischer kampfsport als edler, mädchengeeigneter wahrgenommen wird als das „blutige brutale boxen“…

  6. Sternchengenderin sagt:

    Ich, kinderlos, war in einer Session wo über Sexismus in der IT diskutiert wurde. Vorrangig ging es also um erwachsene Menschen. Es gab einen deutlichen Appel, zunächst nur an Jungsmütter, ihre Jungs nicht zu Sexististen und Machos zu erziehen, dann aber an alle Eltern (also auch Jungsväter, Mädchenmütter und -väter), ihren Kindern beizubringen, dass Individualität und gleiche Wertigkeit von Menschen und ihren Zielen unabhängig von Geschlechtern DAS wünschenswerte Ziel sind. Stcihworte: Jungs dürfen Pferde mögen und Mädchen dürfen sich „trotzdem“ rosa anziehen.
    Ich habe einen extrem emanzipierten Vater, von dem habe ich nie den Hauch von Sexismus oder Genderdiskriminierung zu spüren bekommen. Und dennoch irritieren mich Jungs/Männer in Röckenund rosa; und habe ich Probleme mit Pronomen für Menschen, die (für mich) anders aussehen als CIS-Personen. Ich weise mein Bewusstsein dann zurecht ;)) Und frage mich immer wieder, woher das kommt.

    • Jochen sagt:

      Niemand ist frei von diesen Vorstellungen einer angeblichen „Normalität“ der Geschlechter. Die gesamte Gesellschaft ist nach diesen Mustern strukturiert. Da ist aus meiner Sicht völlig klar, dass das nicht einfach durch einen emanzipierten Vater oder durch einzelne Erlebnisse plötzlich alles nicht mehr da ist und keine Rolle mehr spielt. (Hetero-)Sexistische Muster wieder zu verlernen, ist ein lebenslanger Prozess.

  7. Cornelia Rothenburg sagt:

    Vor einigen Tagen gab es bei uns im Kindergarten Werbeflyer für eine Theateraufführung von Aschenputtel. Die Mutter eines vierjährigen Jungen neben mir nahm den Flyer mit angeekelter Mine in die Hand und sagte mit verächtlicher Stimme: Da gehen wir nicht hin, das ist für Mädchen. Und der Junge, der den rosa Zettel mit dem Liebespaar gerade noch sehnsüchtig betrachtet hatte, schaute sie mit große Augen an. Seine eigene Mutter hatte ihm innerhalb Sekunden klar gemacht, dass rosa und Liebe erstens nur für Mädchen, nicht für ihn und zweitens zu verachten ist. So geht das. Wenn sie drei sind, lieben sie rosa und spielen mit Mädchen, wenn sie fünf sind, behandeln und misshandeln sie Mädchen mit absoluter Verachtung und Selbstverständlichkeit.

  8. Regine Franck sagt:

    Bisschen Schleichwerbung: http://www.baenzfriedli.ch/produkte/buch-machs-wie-abby-sascha.html – die Lektüre zum Thema (ab 8 Jahren). Viel Vergnügen
    r.

  9. Monika V. sagt:

    „Was ist das für eine Welt, in der schon 8-jährige Mädchen so dringend Räume brauchen, in denen sie ohne Jungs und Männer sein dürfen, weil sich schon 8-jährige Jungs darüber definieren (müssen), was sie alles vermeintlich besser können als andere, und ihnen niemand beibringt, mit Niederlagen und mit Scheitern umzugehen?“

    Ich finde das ist eine wichtige Frage. Und zwar deshalb, weil sie ein Schlaglicht darauf wirft, wie Jungs von klein auf dazu erzogen werden, sich über Leistung zu definieren. Wenn ein Junge nicht gewinnt, dann ist er nämlich nichts wert, in dieser Gesellschaft. Ein Loser.
    Wenn wir schon von Gleichberechtigung der Geschlechter sprechen, dürfen wir darüber jedenfalls nicht schweigen.

  10. kolrabi sagt:

    Ich unterstreiche deinen Artikel. Jedoch, ich war 3 Jahre in frauenausschließlichen Räumen unterwegs und würde nicht so sehr die Abwesenheit von Männern (als Personen) thematisieren oder so herausstellen, sondern die Männlichkeit (!). Die gibt es in Räumen, wo nur Frauen/Mädchen Zutritt haben, nämlich auch, auch wenn keine Männer (als Personen) anwesend sind. Patriachale Strukturen – und um diese geht es ja- sind überall wirksam. Auch wenn man mit einem sexismusbefreiten Dad aufwächst, wie ein Kommentar von oben sich über die eigene Art wundert.

    • Gregor sagt:

      Ja, der übertriebene Leistungsgedanke ist vielleicht ein Problem, hier handelt es sich aber doch um ein Spiel! In einem solchen Szenario ist es doch klar das es um Leistung und „besser sein“ geht.

      Auch können wir von 8-jährigen Kindern nicht erwarten, dass sie bereits mit ihrem Scheitern und ihren Niederlagen alleine umgehen können, viele Menschen haben auch als Erwachsene noch große Schwierigkeiten damit. Stichwort: Resilienz

      Und warum spielen jetzt so wenige Mädchen Fußball? Weil die Jungs gemein sind?
      Vielleicht freuen die sich ja auch mal über einen „Mädchenfreien“-Raum wo sie sich spielerisch miteinander messen können?
      Vielleicht ist genau das der Raum wo sie den Umgang mit Niederlagen und Scheitern in Stress- und Leistungsorientierten Situationen lernen können?

      Patriarchale Strukturen sind aber natürlich besonders im Fußball ein Problem!! Da reicht ja ein Blick in die Spitzenetage des DFB um das zu sehen. Um diese Strukturen sollte es gehen, und um das System Fussball in Deutschland und da gehören auch die Medien dazu. Für viele ist ja diese „Bier-Fussball-Fernsehen Kombination“ ein absoluter KERN ihrer Männlichkeit.

      Der DFB ist aber eben auch „nur“ ein Verein mit knapp 7 Millionen Mitgliedern. Hiervon sind 1,1 Millionen Frauen und Mädchen, Tendenz steigend.

      Aufgrund der Statistik müssten man also fragen: Warum spielen immer mehr Mädchen Fußball? Aber dann würde die Schlagzeile ja nicht so perfekt in die aktuelle Sexismus-Krisensituation passen. Statt sich mal zu überlegen, wie lange ein Wandel in DER Männerdomäne schlechthin und einem 7 Mio. Mitglieder Verein wohl dauert, welche Faktoren hier wichtig sein können usw, wird lieber über Gefühle und Erfahrungen diskutiert.

      Warum gibt es denn so wenige Frauen in der Formel 1?

      • Jochen sagt:

        @Gregor:
        Ist mein Text so schwer zu verstehen? Was hat es mit dem „Leistungsgedanken“ zu tun, dass Frauen mehr Hausarbeit machen und dass Jungs/Männer sagen, dass Fußball nichts für Mädchen/Frauen ist? Es geht auch nicht darum, dass 8-jährige Kinder einen perfekten Umgang mit Scheitern und mit Niederlagen haben müssen. Aber es ist schon auffällig, dass es vor allem Jungen sind, die damit gar nicht umgehen können. Und im Kontext Fußball lernen sie es ganz offensichtlich nicht – völlig egal, ob es sich dabei um einen mädchenfreien Raum handelt oder nicht.
        Ich verstehe auch nicht, was du mit der „aktuellen Sexismus-Krisensituation“ meinst. Es gibt keine aktuelle Krisensituation. Sexismus war schon immer da und ist kein neues Phänomen. Im Gegenteil: Ich sehe durchaus Ansätze für positive Entwicklungen – leider viel zu langsam. Aber deshalb ist es möglich, dass immer mehr Mädchen Fußball spielen. Trotzdem ist eine weitere Kritik aus meiner Sicht wichtig. Vor allem an bisher viel zu selten hinterfragten Bildern von Männlichkeit.

        • Gregor sagt:

          Nein dein Text ist nicht so schwer zu verstehen. Du nimmst aber eine Headline die irreführend ist und die reale Faktenlage ausblendet.
          Und woher kommen denn deine Gewissheiten darüber, was Jungen im Kontext Fussball alles nicht lernen?`

          Mit „aktueller Krisensituation“ ist lediglich gemeint, dass das Thema Sexismus ja wohl im Moment zu Recht große mediale Aufmerksamkeit erfährt.

          Grundsätzlich bin ich voll deiner Meinung was Sexismus betrifft, will da gar nichts relativieren. Ich finde aber trotzdem dass man versuchen sollte auch mal auf positive Entwicklungen hinzuweisen. Es gibt nicht nur „Ansätze für positive Entwicklungen“.

  11. strankinja sagt:

    Einige Mädchenmannschaften spielen ja in Jungsligen. Da sind dann oft nicht die Jungs das Problem. Sondern die Eltern, die sich drüber aufregen, dass sich „ihr“ Junge den Ball von einem Mädchen abnehmen lässt usw. Wenn man das mal angehört hat, weiß man, woher die Jungs das haben. Ich verstehe ja sehr gut, dass ein Vater oder eine Mutter vielleicht in Verlegenheit gerät, wenn der kleine Sohn eine rosa Glitzerspange in sein lockiges Haar stecken möchte. Aber diese abwertenden Kommentare gegenüber dem Mädchensein finde ich schrecklich. In die gleiche Kategorie fallen die vermeintlichen Komplimente an Mädchen „du bist /wirst aber mal eine STARKE Frau/ein STARKES Mädchen“. Also Mädchensein an sich ist so eine Art schwaches Defizit, wovon sich ein Mädchen/eine Frau emanzipieren kann durch STARK sein, COOL sein. Dazu die typischen Kommentare, wenn sich ein Mädchen verletzt fühlt: Da stehst du doch drüber – Die Klügere gibt nach – das sind eben Jungs – usw usw.

  1. 2. November 2017

    […] gestellt werden, in die wir sie ja aber gedrängt haben, weil sie nichts anderes durften? (Hier zum Beispiel beklagte ein Vater gerade die Schonungslosigkeit der Jungs, wenn sie Mädchen beim […]

  2. 12. November 2017

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  3. 13. November 2017

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