Macht Fußball krank?
Fußbälle und Autos sind nur vordergründig harmloses Jungsspielzeug. Sie sind eine bedenkliche Antwort auf die Emanzipation der Frauen und können Einstiegsdrogen zu männlichen Suchtkrankheiten sein. Was tun also, wenn kleine Jungs Fußball und Autos lieben?
Kennen Sie das? Ihr Sohn, Enkel oder Neffe, der sich bisher dadurch auszeichnete, mit Puppen zu spielen, Sandkuchen zu backen und mit den Eltern zu kuscheln, will auf einmal nur noch über den Fußballplatz rennen. „Alle spielen gerade Fußball“, sagt er, oder: „Mein Schuss ist zu lasch. Ich will mehr Kraft in meinen Beinen haben.“
Er ist wahrscheinlich um die elf Jahre alt, ein Alter, in dem heute jeder sechste Junge Fußball spielt. „Ach, typisch Jungs, so sind sie eben“, mag mancher da antworten. Ein Prozent der Jungs werden sich auf dem Fußballplatz ernsthaft verletzen. Die restlichen 99 Prozent werden vielleicht nicht klinisch behandelt, aber zu einem großen Teil frustriert, weil sie nie ein erfolgreicher Fußballer werden. Mehr als die Hälfte der 15-jährigen Jungs in Deutschland sagen, dass sie gerne besser spielen möchten. Diese überhöhte Selbstkritik ist einer der Gründe, warum viele männliche Teenager unter Depressionen leider oder anfangen, Alkohol zu trinken.
Jungs leiden in der Pubertät und wenden Aggressionen eher nach außen als gegen sich. Während ihre weiblichen Altersgenossinnen eher Germany’s Next Top Model schauen, werden sie laut und prügeln sich. Ist das genetisch bedingt? Und war das schon immer so?
David Beckham und Christiano Ronaldo, die Ikonen der Kindergartenjungs, vermitteln ein völlig unrealistisches Körperbild. Mit Hilfe einer Petition soll erreicht werden, dass Fußball von der Kommission für Jugendmedienschutz geprüft wird. Nicht noch mehr Kinder und Jugendliche sollen dem krankmachenden Einfluss des Fußballs ausgesetzt werden. Zahlreiche Studien belegen den Zusammenhang zwischen Gewalt und Fußball, heißt es darüber hinaus in der Petition. Fußball müsse in das Abendprogramm nach 22 Uhr verbannt werden, um Kinder vor den Gefahren zu schützen.
Klingt das absurd? Einfach Fußball durch Pink bzw. Germany’s Next Top Model sowie Jungs durch Mädchen ersetzen und schon erscheint es für viele völlig logisch. Die oberen Absätze basieren im Wesentlichen auf einem Kommentar von Stevie Schmiedel, der Geschäftsführerin von Pinkstinks, in der Hannoverschen Allgemeinen.
Mir geht es nicht darum, diese Argumentation völlig ins Lächerliche zu ziehen. Im Gegenteil: Ich finde es wichtig, die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Diskursen und individuellen Entscheidungen zu untersuchen. Während eine gesellschaftliche Ausgestaltung von Männlichkeit jedoch viel zu oft als vermeintliche Normalität unhinterfragt akzeptiert wird, werden bestimmte Aspekte weiblicher Identität bzw. Entscheidungen von (jungen) Frauen und Mädchen problematisiert und pathologisiert.
Mädchen und Frauen wird nicht zugetraut, selbstbestimmte Entscheidungen über das eigene Leben treffen zu können. Um sie vor den Gefahren ihrer eigenen Entscheidungen zu schützen, braucht es offensichtlich Väter, Jugendmedienschutz oder Organisationen wie Pinkstinks. Für Mitte 30-jährige Familienväter ist es scheinbar schwer zu akzeptieren, dass auch 16-jährige junge Frauen über eine eigene Sexualität verfügen und sich diese von der eigenen unterscheidet. Deshalb muss es sich in dieser Logik bei bestimmten Aspekten der Sendung Germany’s Next Top Model dann um eine „Sexualisierung“ von außen handeln.
Wir treffen alle unsere Entscheidungen vor dem Hintergrund unserer Sozialisation und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Ich bin dafür, sich mit gesellschaftlichen Zwängen und einschränkenden Rollenbildern zu beschäftigen. Ich bin dafür, sich damit auseinanderzusetzen, wie patriarchale Strukturen geschlechtsspezifisches Verhalten beeinflussen und hervorbringen. Die Entscheidung einer 16-jährigen jungen Frau sich mit Honig übergießen und dabei fotografieren zu lassen, ist aber genauso ernst zu nehmen, wie die eines gleichaltrigen Jungen, der auf dem Fußballplatz stehen möchte.
Pinkstinks beruft sich in ihren Kampagnen immer wieder auf die gestiegene Zahl der magersüchtigen Mädchen. Kann es nicht sein, dass es bei Magersucht genau darum geht, eine Entscheidungsfähigkeit über den eigenen Körper zurückzugewinnen bzw. zu beweisen, die von außen (eben auch von Pinkstinks) immer wieder in Zweifel gezogen wird?
Ich glaube, dass keinem magersüchtigen Mädchen damit geholfen ist, wenn ihre Entscheidung als kleines Kind für pinkes Spielzeug pathologisiert und als Einstieg in die Sucht bezeichnet wird. Ich möchte, dass Prinzessinnen und Feen in ihrer Individualität und Vielschichtigkeit gesehen und ernst genommen werden. Ich glaube, dass Pinkstinks nicht nur falsche Prioritäten setzt, sondern in ihrem Ansatz sogar an einigen Stellen kontraproduktiv wirkt.
Ich bin vor fünf Jahren auch noch anders damit umgegangen. Statt Pink und Inszenierungen von Weiblichkeit zu problematisieren und zu pathologisieren, braucht es dringend endlich einen kritischeren Blick auf Männlichkeit. Die ersten Absätze dieses Texts sind stark verkürzt, vereinfacht und durch die fast wortgleiche Übertragung aus dem Ausgangstext auch an einigen Stellen unsinnig und dennoch glaube ich, dass es hilfreicher wäre, damit weiterzuarbeiten als mit dem Kommentar über die Gefahren durch pinkes Spielzeug. Ich fände es spannend, sich mehr mit der Herstellung von Männlichkeit in der Gesellschaft zu beschäftigen und damit, wie Inszenierungen von Männlichkeit für viele Menschen unterschiedlichen Geschlechts zu Problemen/Krankheit/Sucht/Gewalt führen.
„Für Mitte 30-jährige Familienväter ist es scheinbar schwer zu akzeptieren, dass auch 16-jährige junge Frauen über eine eigene Sexualität verfügen und sich diese von der eigenen unterscheidet.“
Danke für diesen Satz.
Vielen Dank für diesen witzig-kritischen, so prägnanten Text! Ich schließe mich deinem Wunsch nach einer tieferen Auseinandersetzung mit der Inszenierung von Männlichkeit in dieser Gesellschaft an.