„Die neue Männlichkeit“ – Rezension
Geschlechterbilder und –rollen sind im Wandel. Die Männerwelt ist verunsichert, konstatiert deshalb Eduard Waidhofer in „Die neue Männlichkeit. Wege zu einem erfüllten Leben“. Klar, verunsichert bin ich. Ziemlich oft sogar. Manchmal vielleicht auch wegen dem, was gemeinhin als Männlichkeit bezeichnet wird. Gleichzeitig vermisse ich an vielen Stellen eine kritische Auseinandersetzung mit genau diesem Thema.
Waidhofers Buch bietet einen guten Einstieg in den Diskurs zu Männlichkeit. Es ist ansprechend strukturiert und behandelt einige wichtige Aspekte, die in dem Zusammenhang eine Rolle spielen. Schnell wird deutlich, dass sich Waidhofer intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Er zitiert viele maßgebliche Akteur_innen, das Buch verfügt über fast 500 Fußnoten und es ist eine lange Literaturliste angehängt.
Hin und wieder sind Waidhofers Analysen einigermaßen gelungen. So betont er beispielsweise die Verantwortung von Vätern, endlich neue Prioritäten zu setzen, statt immer nur abstrakt fehlende Zeit mit den eigenen Kindern zu beklagen: „Drei Viertel der Väter würden übrigens gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen; dies setzt aber voraus, dass die Männer sich auch mit dem Thema Teilzeitarbeit – bislang eine Frauendomäne – auseinandersetzen.“ (S. 57) Und: „Dass sich die Männer ihre Arbeitszeit nicht so einteilen können, dass Zeit für Frau und Kinder übrigbleibt, ist in den meisten Fällen jedoch ein Mythos, wenngleich es manchmal etwas Zivilcourage in der Firma verlangt.“ (S. 148)
Darüber hinaus fehlt jedoch ganz viel. Ich finde es erschreckend, dass es scheinbar noch immer möglich ist, ein Buch über Männlichkeit mit einem solch umfassenden Anspruch zu schreiben und darin das Thema Homosexualität weitestgehend auszusparen. Eine queere Perspektive fehlt völlig. Waidhofer formuliert seine Kritik an hegemonialer Männlichkeit, ohne alternative Männlichkeiten zu beachten und in irgendeiner Form zu benennen. Der Klappentext fragt: „Was bedeutet ECHTE MÄNNLICHKEIT heute?“ Meine Sexualität, meine Perspektive auf Beziehungen, meine Rolle innerhalb meiner Familie, meine Familienkonstellation, meine Perspektive auf Beruf und Arbeit, kaum etwas davon scheint in irgendeinem Bezug zu „echter“ Männlichkeit denk- und beschreibbar zu sein.
Problematisch finde ich auch, inwieweit Waidhofer die Rolle von Vätern in Familien überschätzt. Er stellt fest: „Die Anerkennung durch den Vater ist für ein Mädchen wichtig, um sich später zur Frau entwickeln zu können.“ (S. 166) In Bezug auf Söhne klingt es so: „Der Sohn braucht den Vater, um sich von der Mutter ablösen zu können. Aber auch die Mutter braucht ein präsentes und partnerschaftliches männliches Gegenüber, damit der Sohn nicht zu ihrem Vertrauten wird, mit dem sie ihr emotionales Beziehungsdefizit ausgleicht.“ (S. 109)
Es ist schon schwer erträglich, dass solche Sätze noch immer in Büchern stehen. Schlimmer ist vielleicht nur, dass Waidhofer mit dieser Perspektive auch noch als Psychologe und Psychotherapeut arbeitet bzw. dass solche Positionen in diesem Bereich wahrscheinlich nicht so selten anzutreffen sind. Als ob die Praxis nicht tagtäglich Gegenteiliges beweisen würde. Geschichten von Familien ohne Väter finden sich beispielsweise in meinem Buch und in der Serie #ohneVaeter bei me, myself and child. Ich habe große Hoffnungen, dass es einigen Mädchen in den beschriebenen Familien entgegen Waidhofers Prognose gelingen kann, zu Frauen zu werden.
Das Buch lässt mich einigermaßen ratlos zurück. Gegen meine Verunsicherung hilft es wenig. Vielleicht ist die Verunsicherung aber auch gar kein so drängendes Problem. Wahrscheinlich gibt es wesentlich schlechtere Bücher zum Thema und gleichzeitig zeigt genau das, wie viel in der Auseinandersetzung mit Männlichkeit noch fehlt…
Waidhofer, Eduard: Die neue Männlichkeit. Wege zu einem erfüllten Leben, Fischer & Gann Munderfing 2015
Kritik finde ich gut. Den anderen dabei schlecht aussehen lassen, nur um im nächsten Satz Werbung für die eigene Sache zu machen, das gefällt mir weniger.
Wenn in „Mutter“ und „Vater“ geschlechtsidente Rollen gesehen werden, dann kann ich den Zusammenhang ja noch verstehen. Beide Begriffe beziehen sich allerdings auf Rollenverhalten und sind vom Geschlecht jener Person zu trennen, die dieses Rollenverhalten vorwiegend lebt.
Soweit mein Verständnis dazu.
Hm, ich bin mir nicht so ganz sicher, ob ich den Kommentar richtig verstehe. Ja, ich würde in vielen Situationen die Rollen „Mutter“ und „Vater“ auch allgemeiner und unabhängig vom Geschlecht interpretieren. In Waidhofers Buch kommen „Mutter“ und „Vater“ bzw. deren Kinder allerdings ausschließlich im Rahmen von Hetero-cis-Ehepaaren mit einigermaßen klassischer Rollenaufteilung vor, so dass ich davon ausgehe, dass er die Begriffe nicht unabhängig vom Geschlecht verwendet.