„Erlebe deine authentische männliche Macht“ – Teil 1
„Lerne, wie Du ein echter Mann werden kannst!“ steht auf der Homepage. Ich könne meine „authentische männliche Macht“ zurückgewinnen, wenn ich mich jetzt sofort zum kostenlosen Online-Kurs anmelde. Das ist ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Ich melde mich an, finde sofort eine erste Mail in meinem Postfach und darf mir einen ersten Podcast anhören.
Wenn ich mich zu dem Online-Kurs angemeldet habe, dann bestimmt, weil ich gerade verlassen worden sei. Erzählt mir der selbst ernannte Männlichkeitscoach im Podcast. Oder immer wieder in der Freundschaftszone lande – das heißt, dass Frauen zwar mit mir befreundet sein wollen, ich dann aber dennoch alleine nach Hause gehen müsse. Frauen fänden mich vielleicht süß, springen dann aber mit dem Bad Boy ins Bett. Wenn ich mich zu dem Kurs angemeldet habe, dann also sicherlich, weil ich einfach „mehr Erfolg mit dem anderen Geschlecht“ erleben möchte. Und es besteht kein Zweifel daran, dass „mehr Erfolg“ gleichbedeutend ist mit „mehr Sex“.
Ich finde mich in den Beschreibungen nicht wirklich wieder, aber es gibt offenbar eine Zielgruppe für den Online-Kurs und die definiert sich über das gemeinsame Gefühl des fehlenden Erfolgs beim anderen Geschlecht und einer Verallgemeinerung der eigenen gefühlten Misere: Männer bekommen zu wenig Sex und das ist so etwas wie das Grundproblem männlicher Existenz in unserer heutigen Gesellschaft.
Am Anfang bekomme ich jeden Tag eine neue Mail. Später kommen die Nachrichten etwas seltener. Die Mails enthalten Links zu Podcasts oder YouTube-Videos. Manchmal sind die Inhalte etwas aufwändiger zusammengeschnitten. Manchmal handelt es sich lediglich um einen abgefilmten Vortrag des immer gleichen Männlichkeitscoachs vor Gruppen von Männern, die an seinen Lippen hängen, über seine Witze lachen, zwischendurch begeistert applaudieren und kichern, wenn er „ficken“ sagt. Neben dem kostenlosen Online-Kurs werden Seminare im real life für mehrere tausend Euro angeboten.
In einem der ersten Videos bezeichnet sich der Männlichkeitscoach als „Anti-Pick-Uper“, kritisiert die manipulativen Praktiken von Pick-Up-Artists und das ist der einzige Grund, warum ich mir das überhaupt noch weiter antue. Es gehe ihm nicht um irgendwelche „Techniken“, möglichst viele Frauen ins Bett zu bekommen, sondern eher um ein umfassenderes Verständnis davon, was es heißt, ein Mann zu sein. Der Erfolg bei Frauen stelle sich dann quasi automatisch ein, wenn jeder einzelne Teilnehmer zu seiner „männlichen Essenz“ (zurück-)gefunden habe. Mich interessieren das Weltbild und die Vorstellungen von Geschlecht und Männlichkeit, die dahinter stecken.
Es geht in den Videos um Selbstbewusstsein, Verantwortung, Charakter, Mut, Stärke und Präsenz. Solange es floskelhaft und oberflächlich bei diesen einzelnen Punkten bleibt, ist wenig dagegen zu sagen. Doch dann geht es auch immer wieder um diese ominöse Männlichkeit. Weitere Videos beschäftigen sich mit dem „Alpha-Mann“, der „Krise der Männlichkeit“ und „Männerfreundschaften“.
Nach ein paar Videos wird klar, wer für den ganzen Schlamassel verantwortlich ist: Der Feminismus. Dessen einziges Ziel sei es nämlich, „den deutschen Mann zu demontieren und de-facto zu kastrieren“. Männliche und weibliche Rollenbilder der 1950er Jahre werden willkürlich herausgegriffen, ohne wissenschaftliche Grundlage auf Steinzeit und „Höhlenmenschen“ projiziert und damit zur männlichen und weiblichen Natur erklärt, die seit etwa 40 Jahren durch feministische Politik bedroht sei und systematisch zerstört werde.
Soweit so absurd, wenn diese These nicht so anschlussfähig wäre an ähnliche Diskurse in manch konservativem Feuilletonartikel. Im Online-Kurs verbunden mit einer durchaus realen Krisenerfahrung einzelner Kursteilnehmer. Und verpackt in stundenlangem Audiomaterial aufgefüllt mit Lebensweisheiten à la „Es ist besser 2 oder 3 gute Freunde zu haben, als 10 falsche.“
Männer sind verzweifelt auf der Suche nach Ausreden, die eigene Rolle und Position innerhalb der Gesellschaft nicht hinterfragen zu müssen. Der Online-Kurs bietet diese Ausreden in Form einer als natürlich angenommenen Männlichkeit. Es geht eben nicht um die eigentlich zwischendurch immer wieder floskelhaft geforderte Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln, sondern um eine Orientierung an einem kollektiven Bild von Männlichkeit. Durch die Konstruktion einer Natürlichkeit der willkürlich herausgegriffenen Geschlechterrollen der 50er Jahre entfällt die Notwendigkeit, sich irgendwie zu diesem Bild von Männlichkeit positionieren und sich dafür verantworten zu müssen.
Aber was ist nun mit den sexuell frustrierten Männern? Gehen Frauen tatsächlich nur mit den Bad Boys ins Bett? Und war früher tatsächlich alles viel einfacher?
Fortsetzung folgt… hier
Da würde mich ja jetzt die Definition von „Bad Boy“ interessieren. Deinem Bericht zufolge ist für mich eher der Online-Kurs-Urheber einer und dann lautet die Antwort auf deine zweite Frage schlicht und einfach: nein.
Hallo Jochen, ich finde es sehr gut, dass Du darüber schreibst und mal Deine Eindrücke schilderst. Leider kenne ich Männer, die voll auf diese Masche abfahren. Leider sogar ein sehr guter Bekannter. Als er in eine Krise kam ist er genau darauf angesprungen. Und immer wieder die gleiche Leier, der Feminismus ist schuld. Ich kann es nicht mehr hören. Ich denke mir, was für ein Selbstbewusstsein soll das sein, wenn man nur mit einer Frau klar kommt, die sich fügt. Das Geschwafel von der männlichen und weiblichen Essenz. Für mich ist das demütigend. Es stimmt mich traurig und macht mich wütend. Vor allem auch die Typen, die so einen Mist verbreiten.
Lieber Jochen,
danke für diesen Beitrag,
Und ich gebe dir Recht:
Gegen die ach so bösen Feministinnen hetzten bringt für Männer nur eines: Nichts!
Und Männerbilder, die aus einer Schablone abgemalt sind, noch weniger.
Tiefe Männerfreundschaften, bei denen man sich über diese Themen austauschen kann, halte ich zur eigenen und authentischen Definition seines Mann-Seins für zutiefst sinnvoll. Im Spiegel anderer Männer kann ich mich einfach wunderbar selbst erfahren.
Lg