Mit Kindern über die Shoah reden
Wie rede ich mit einer Fünfjährigen über Nationalsozialismus und Holocaust? Fritzi und ich sprechen nicht nur über Geschlechterrollen und Familienkonstellationen. Manchmal geht es auch um etwas anderes. Schon vor einiger Zeit fragte mich Fritzi, was es mit den Stolpersteinen auf sich hat, an denen wir fast jeden Tag vorbei kommen. Alleine bei uns im Friedrichshain gibt es mehr als 200 davon und besonders aus Kinderperspektive sind sie kaum zu übersehen. Am 9. November letzten Jahres stolperten wir über Steine, neben denen eine brennende Kerze stand. Und manchmal erkennt Fritzi auch Teile ihres Namens, wie auf dem Stolperstein für Fritz Herz in der Neuen Bahnhofstraße auf dem obigen Foto. All das weckt Interesse und führt zu Nachfragen.
Seitdem bleiben wir vor fast jedem Stein stehen. Meistens möchte Fritzi, dass ich vorlese, was darauf steht. Sie weiß deshalb, dass die Person, für die der jeweilige Stein gemacht wurde, in dem Haus, vor dem wir in diesem Moment stehen, gewohnt hat. Und sie weiß mittlerweile auch, was die Worte „deportiert“ und „ermordet“ auf den Steinen bedeuten. Ich habe ihr erklärt, dass die Person von Nazis festgenommen, weggebracht und getötet wurde. Und ich habe ihr erklärt, dass sogar ihre Großeltern noch nicht geboren waren, als das passierte.
Bis zu diesem Punkt fühle ich mich noch recht sicher in der Beantwortung von Fritzis Fragen. Darüber hinaus wird es aber schon schwieriger: Gibt es heute noch Nazis? Ja schon, aber… Warum haben die das gemacht? Dass viele ermordet wurden, weil sie Jüd_innen waren, habe ich ihr erklärt. Was jüdisch-sein wiederum bedeutet, ist in unseren Gesprächen noch eher unklar. Und warum die Nazis so viele Jüd_innen ermordet haben, ist damit auch noch nicht beantwortet. Bisher habe ich Fritzi noch keinen wissenschaftlichen Vortrag über Antisemitismus gehalten. Warum hat denen niemand geholfen? Wie wurden sie getötet? Und was bedeuten die Begriffe Auschwitz oder Theresienstadt auf den Stolpersteinen?
Ich versuche Fritzi nicht zu überfordern. Aber ich versuche auch, ihre Fragen wahrheitsgemäß und so gut wie möglich zu beantworten. Gerade lesen wir ein Kinderbuch dazu, das ich demnächst hier vorstellen werde. Ich arbeite seit einigen Jahren pädagogisch zu dem Thema, aber fast ausschließlich mit Jugendlichen. Über weitere Hinweise und Anregungen (Bücher, Filme, Orte…) zur Thematisierung von Nationalsozialismus und Shoah mit Kindern bin ich sehr dankbar.
Ich lese den Eintrag zwar eineinhalb Jahre später – aber falls noch aktuell: Ich finde immer noch Judith Kerrs „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ super für das Alter 8-10. Sie fiktionalisiert ihre eigene Exilgeschichte, und ich fand es als Kind extrem spannend, berührend und habe vieles dadurch verstanden.
Danke für den Hinweis. Ich weiß, dass ich das Buch in der Schule gelesen habe, aber für mich war es damals wahrscheinlich noch zu früh. Ich kann mich nämlich nicht mehr wirklich gut daran erinnern. Ich werde es Fritzi mal vorschlagen.