O Mother, Where Art Thou?
Lynn war übers Wochenende bei den Großeltern und ich alleine mit Fritzi zuhause. Während die Gewitterwolken in sicherer Entfernung an uns vorbei zogen und Fritzi mit Freund_innen irgendwo auf dem Spielplatz unterwegs war, hatte ich ausnahmsweise mal viel Zeit, auf der „Wiese“ (in Anführungszeichen, weil: siehe Foto) in der Sonne zu liegen und zu lesen.
Im April ist der Sammelband „O Mother, Where Art Thou? (Queer-)Feministische Perspektiven auf Mutterschaft und Mütterlichkeit“ erschienen, den ich in der letzten Woche aus meinem Briefkasten geholt habe. Ich habe noch nicht alles gelesen. Drei Texte fand ich am Wochenende auf Anhieb spannend, weil sie sich um Fragestellungen drehen, die auch mich immer wieder beschäftigen und die ich im Folgenden anreißen möchte.
Die Rolle von Blogs für die Auseinandersetzung um Mutterschaft und Feminismus
Marie Reusch vergleicht in ihrem Text, wie Mutterschaft und Feminismus in wissenschaftlichen Texten auf der einen Seite und in Mütter-Blogs auf der anderen Seite verhandelt wird. Sie beschreibt, dass in der Wissenschaft vor allem Einschränkungen für Frauen problematisiert werden, die sich aus ihrer Mutterrolle aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen ergeben: „Es fehlt eine Perspektive, die Mutterschaft nicht nur als Einschränkung von Emanzipationsbegehren begreift, sondern die potentielle emanzipatorische Leitbilder oder Praxen von Mutterschaft eruiert.“ (S. 138)
Blogs liefern ihrer Ansicht nach keine fertige Antwort darauf, zeigen diese Leerstelle in der Wissenschaft jedoch deutlich auf und können den Blick durch die authentische und positive emotionale Bezugnahme auf Mutterschaft erweitern. Die feministischen Blogs, die Reusch dafür untersucht hat, gehören auch zu meinen Favorit_innen, die ich regelmäßig und mit großem Interesse lese: alsmenschverkleidet, aufZehenspitzen, Dr. Mutti, Fuckermothers, Glücklich Scheitern und umstandslos.
Auch ich sehe die große Stärke von Blogs darin, dass sich bestimmte Inhalte durch die persönliche, emotionale und praktische Ebene nachvollziehbarer, zugänglicher und unmittelbarer diskutieren und transportieren lassen. Und auch ich arbeite in meinen Texten im Blog, in meinen Büchern und anderswo vor allem mit einer Verknüpfung von persönlichen Geschichten mit einem gesellschaftlich-politischen Kontext und denke, dass dadurch Aspekte in den Blick kommen können, die ansonsten eher unbeachtet bleiben. Und ich ziehe daraus meine Motivation, zu schreiben.
Trans*/queere Perspektiven auf Elternschaft
Joke Janssen schreibt im Sammelband über trans*/queere Perspektiven auf Elternschaft und wie diese Perspektiven in feministischen Diskussionen leider noch immer viel zu oft untergehen. Im komplexen und leider nicht so einfach lesbaren Text heißt es unter anderem: „Die Entkopplung von Kategorien wie Reproduktion und Familie, Familie und Paarbeziehung oder Schwangerschaft, Mutterschaft und Weiblichkeit ermöglichen ein Nachdenken über Elternschaft und Familie, das weniger an normative Erzählungen gebunden ist und ein Queeren von Elternschaft und Familie vorstellbar machen kann.“ (S. 155)
Wie eine Entkopplung beispielsweise von Familie und Paarbeziehung bzw. von Mutterschaft und Weiblichkeit konkret aussehen kann und was das Ganze mit normativen Erzählungen zu tun hat, beschäftigt mich tagtäglich und wird auch in Zukunft immer wieder in meinen Leben und meinen Texten vorkommen. Über weitere Positionen in Janssens Text muss ich erst noch nachdenken, bevor ich mehr dazu sagen kann.
Niemand ist dem anderen seine Mutti?
Highlight meiner bisherigen Lektüre des Sammelbands war zweifelsfrei der Text „Niemand ist dem anderen seine Mutti? Zu Mütterlichkeit in heterosexuellen Paarbeziehungen“ von Ann-Madeleine Tietge. Sie hat heterosexuelle Paare interviewt, die sich selbst als gleichberechtigt und heteronormativitätskritsisch bezeichnen und zeigt, wie sich auch in diesen Paarbeziehungen gesellschaftliche Machtverhältnisse anhand der Geschlechter fortschreiben. Die Bespiele, die sie dafür herausgearbeitet hat, lesen sich sehr eindrucksvoll.
Die Männer in den von ihr untersuchten Beziehungen reproduzieren zwar keine klassischen Männlichkeitsbilder, indem sie nicht mehr die Versorgerrolle für sich beanspruchen. Jedoch übernehmen sie deshalb noch lange nicht mehr Sorgearbeit: „So wenig dominant einige Männer in den interviewten Beziehungen auch beschrieben werden, so wenig füllen sie die Lücke, die sie als ‚Nicht-Versorger‘ hinterlassen, mit einem Mehr an emotionaler Fürsorge“ (S. 199)
Anders als so mancher aktuelle Feuilletontext fordert Tietge aufgrund ihrer Analyse jedoch nicht, sich dann eben einfach wieder an alten Rollenbildern zu orientieren: „Vielmehr sollten (heterosexuelle) Männer Aspekte erwachsener Weiblichkeit bzw. weiblich konnotierter Mütterlichkeit übernehmen.“ (S. 200) Ja! Ja! Ja! Dem kann ich nur zustimmen und die angesprochenen Fragen rund um Feminismus, Männlichkeit und Paarbeziehung knüpfen sehr schön an vieler meiner Überlegungen an, so dass ich auf ihre Untersuchung sicherlich auch in späteren Texten noch zurückkommen werde.
Auch die weiteren Texte des Sammelbands beleuchten spannende Aspekte und ich bin sehr gespannt auf die Diskussionen, die hoffentlich darum entstehen. (Zuletzt noch der Hinweis, dass mein hier beschriebener Blick auf den Sammelband höchst subjektiv damit zusammenhängt, dass auch ich einen Text dazu beigesteuert habe.)
Dolderer, Maya/Holme, Hannah/Jerzak, Claudia/Tietge, Ann-Madeleine (Hrsg.): O Mother, Where Art Thou? (Queer-)Feministische Perspektiven auf Mutterschaft und Mütterlichkeit, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2016
Es ist aber schon eine Frage, warum fürsorgliches Denken, Fühlen und Handeln bei Männern als „Mutter werden“ oder auch „weibliche Anteile ausleben“ beschrieben wird – anstatt es inhaltlich ins Vaterbild/Männerbild zu integrieren. „Mein Testosteron ist weiblich, denn es ist das Testosteron einer Frau“ hat sich Antje Schrupp aufs T-Shirt drucken lassen, um gegen solche „ewigen Zuschreibungen“ anzugehen. Siehe dazu ihren Blogpost, zwar mit einem etwas anderen Fokus, aber doch auch zum Thema.
Das Problem ist ja, dass es eine massive Abwehrhaltung von sehr vielen Männern gegenüber allem Weiblichen gibt. Da möchte ich nicht mitmachen.
Antje Schrupp schreibt in dem verlinkten Text:
>Das Frausein ist eine Evidenz, die nicht näher begründet oder erklärt werden muss, es genügt, sie zu konstatieren (etwa durch einen Satz wie: „Ich bin eine Frau“ oder dadurch, dass man „als weiblich gelesen“ wird und nicht widerspricht).< Meine Tochter hat mich als "Mama" gelesen und ich habe nicht widersprochen. Damit bin ich nach der Definition von Antje Schrupp eine Mama. Und ich würde alle Menschen dazu ermutigen, sich auch so zu verhalten, dass sie von ihren Kindern als "Mama" gelesen werden. Das bedeutet ja nicht, dass das dann nicht gleichzeitig auch ins Vater/Männerbild integriert werden kann. Wie Antje Schrupp ja auch schreibt, handelt es sich bei Mann/Frau nicht um Gegensätze, die sich gegenseitig ausschließen.